Hotel Leibniz

1975 war der 11. April ein Freitag. Wir trafen uns zufällig in der Cafeteria, Barbara, Roland und ich, Tasse Kaffee in der weißen Plastiktasse vierzig Pfennig, Asso-Kuchen fünfzig, das heißt, den Kuchen hatte nur ich und der Saarländer Roland wie üblich Bier statt Kaffee. Wir kannten uns aus diesem Seminarkollektiv Herbst, hatten uns dort fleißig in der „Kritik der bürgerlichen Geschichtswissenschaft“ geübt und planten jetzt das zweites Semester. Ob wir noch einmal „ordentlich einen draufmachen“ wollten, bevor der Betrieb richtig losginge: Barbara. Die Idee gefiel uns. Wer denn noch eingeladen werden solle. Marianne und Cornelia aus ihrer WG seien auch wieder aus Soest zurück, außer Roland und mir dann nur noch Bosco. Der wurde so genannt, weil er aus Paderborn kam. Für sechs hätten sie gerade genug zu trinken.

Wir kauften trotzdem noch Cola sowie zwei Flasche Hansen und machten uns sofort auf den Weg. Die beiden anderen saßen in der Küche und taten erstaunt, Mariannes Augen leuchteten verdächtig, als sie Roland hereinkommen sah, Barbara hob kurz den Daumen zum Zeichen des Erfolgs, Cornelia telefonierte schnell mit dem ahnungslosen Bosco und bestellte ihn ein. Dann wurde in ihrem Zimmer ein Meer von Kerzen aufgestellt, der Plattenspieler angeworfen, wir machten es uns auf dem Teppich bequem, tranken Bier, Cola-Rum und Persico durcheinander und hörten „Tea for the Tillerman“ und „Buddha and the Chocolate Box“.

Kurz vor acht, wir waren schon recht lustig, trudelte Bosco ein. Die Runde um den Plattenspieler löste sich auf. Marianne und Roland nahmen den strategisch günstigen Platz auf dem kleinen Flur vor Mariannes Zimmer ein und erzählten sich traurige Geschichten aus ihrer Vergangenheit, Barbara, Cornelia und ich süffelten vorerst ohne Musik weiter, Bosco glaubte, ein Anrecht auf Marianne zu haben, setzte sich auch in den Flur und begann als der nüchternste von allen einen heftigen Streit mit Roland, der stetig an Lautstärke zunahm. Roland solle seine ungewaschenen Hände von Marianne nehmen, er, Bosco, liebe sie schließlich, und wolle deshalb auch ungestört von Roland mit ihr zusammen sein. „Das wollen wir doch erst einmal sehen.“ Roland dachte nicht daran, zu weichen, und legte seinen Arm um Marianne. Das brachte Bosco erst wirklich in Rage. Er stürzte sich auf Roland und wollte ihn von Marianne wegzerren. Ein wilder Ringkampf auf dem engen Flur. Das Tischchen mit dem Telefon kippte um, Bosco gewann die Überhand, schlug mit den Fäusten auf Roland ein, Marianne weinte: „So ein Arschloch.“

Jetzt griffen Cornelia und Barbara ein, packten Bosco am Kragen und zogen ihn von Roland herunter. „Von dir wollte ich noch nie etwas.“ Marianne mit Tränen in den Augen. Barbara scharf=giftig: „Und du verschwindest jetzt auf der Stelle und läßt dich bei uns nicht mehr blicken.“ Bosco wollte noch etwas sagen, aber ein vernichtender Blick aus Cornelias Augen ließ ihn verstummen. Er stellte den Telefontisch wieder auf, griff sich seine Tasche und schlich ohne Gruß davon. Marianne und Roland umarmten sich und verschwanden in ihrem Zimmer.

„Von dem lassen wir uns die gute Laune doch nicht verderben, Zapp, oder?“ Cornelia legte noch einmal Cat Stevens auf, Barbara schenkte Cola-Rum nach und blickte mir dabei tief in die Augen. Erst in diesem Moment wurde mir klar, warum die Mädchen diese Party überhaupt veranstaltet hatten, und ich rückte näher zu ihr. „Los, Zeit fürs Bett“, flüsterte Barbara dann irgendwann, nahm mich an die Hand und zog mich in ihr Zimmer. Cornelia schaute uns traurig nach.

Am Frühstückstisch tauschten Barbara und Cornelia dann rätselhafte Blicke aus, ehe sie verkündeten: „Wir machen durch bis morgen früh. Du hast doch hoffentlich nichts dagegen“, an mich gewandt. „Wir kaufen noch ein bißchen ein. Mach es dir solange bequem. Lies, trink, hör Musik.“ Machte ich, aber an Musik war außer Cat Stevens nicht viel da.

Marianne und Roland fanden nicht aus dem Zimmer und so ging die Fete dann vom frühen Nachmittag an bei Kerzenschein, Cola-Rum, Persico und wieder Cat Stevens zu dritt bis in den späten Abend weiter. „Es ist spät, ich lege mich jetzt schlafen.“ Ich muß ein ziemlich blödes Gesicht gemacht, als Barbara das sagt und ich verwirrt zwischen den beiden hin und her blickte. „Gute Nacht, ihr beiden“, lachte sie glucksend und verschwand. Ich verstand die Welt nicht mehr. „Sei so lieb und komm endlich her zu mir, Zapp.“ Cornelia hatte sich in ihr Bett gelegt und ich folgte ihrer Aufforderung auf der Stelle.

Am Sonntag vernichteten wir dann in einer seltsam vernebelten Stimmung – natürlich akustisch wieder von Cat Stevens begleitet – die letzten Reste, woran sich jetzt auch das neue Pärchen beteiligte. Endlich machte ich mich müde und um zwei Abenteuer reicher auf den Heimweg. Marianne und Roland aber zogen erst zusammen und heirateten später sogar.

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