Leichen pflastern seinen Weg

Woher wir den 16-mm-Projektor hatten, ich habe es vergessen, zur Einrichtung des Bunkers gehörte er jedenfalls nicht, und zu unserem eigenen Agitationsmaterial auch nicht, obwohl wir gut ausgestattet waren, von roten Transparenten über Stelltafeln bis zu einem Hektographiergerät, das mit Druckerschwärze arbeitete und nicht mit Spirit-Carbon-Matritzen. Wahrscheinlich hatte ihn eine der beiden Genossinnen besorgt, Schwestern, die den Sommer im Land Enver Hoxhas verbracht hatten, und deren Augen immer noch leuchteten, aber nicht aus Begeisterung für den dortigen Sozialismus, sondern für die albanischen jungen Männer, die sie dort näher kennengelernt hatten.

Den Film hatte ich besorgt, „Leichen pflastern seinen Weg“, Klaus Kinski und Jean-Louis Trintignant als Gegenspieler, aus dem Angebot des Atlas-Filmverleihs, ich war in der Zeitschrift Filmkritik darauf gestoßen, die ich damals noch abonniert hatte. Geliefert wurde per Bahnfracht, drei schwere Rollen, die nach drei Tagen wieder zurück mußten.

Es sollte eine Veranstaltung gegen Militarisierung und wachsende Kriegsgefahr werden, wir selbst waren noch heiß nach der Niederlage, die wir am Roten Antikriegstag in München gegen knüppelnde Polizei einstecken mußten, Langendamm, Heimat einer Panzerbrigade und eines Artilleriebataillons, dazu das 32nd US-Army Field Artillery Detachments, das für die Bewachung der Atomsprengköpfe, Atomminen und Atomgranaten im Munitionslager Liebenau zuständig war, einen Kilometer entfernt das Engineer-Regiment der britischen Rheinarmee in der Mudra-Kaserne, Langendamm, dieses militärverseuchte Dorf, die Eingemeindung kam erst zwei Jahre später, fanden wir, war überreif für eine solche Veranstaltung, und der alte Munitionsbunker auf dem ehemaligen Muna-Gelände, den sich Jugendliche als Freizeitraum eingerichtet hatten, der beste Ort dafür.

Munitionsbunker

In einem solchen alten Munitionsbunker hatten sich die Jugendlichen einen Freizeitraum eingerichtet.

Gekommen waren fast dreißig Leute, sechs von unserer Zelle, drei Kader aus Hannover, eine Handvoll Sympathisanten, die mit uns in München waren, der Rest Jugendliche aus dem Ort, Lehrlinge vor allem, die in erster Linie den Film sehen wollten.

In „Leichen pflastern seinen Weg“, das unterscheidet ihn von anderen Western, triumphiert am Ende das Böse in Gestalt der Kopfgeldjäger, die im Auftrag des Kaufmanns und Friedensrichters die Hungernden, die aus Not stehlen, jagen und am Ende niedermetzeln, dann beruht dieses Ende auch noch auf historischen Tatsachen: nach der letzten Rolle war die Dorfjugend voller Empörung über eine Staatsgewalt, die nur für die Reichen handelt. Mein Vortrag im Anschluß, zusammengeschustert aus verschiedenen Artikeln aus dem John-Schehr-Kurier und der Roten Fahne, die ich auseinandergeschnippelt und auf zwei Blatt DIN A4 neu zusammengesetzt hatte, mußte nur noch ein klein wenig nachhelfen, den Unmut in eine revolutionäre Richtung lenken, weshalb ich einige Passagen, die mir plötzlich allzu papiern erschienen, einfach wegließ.

In der Diskussion ereiferte sich plötzlich ein 17-jähriger Lehrling und zog gegen die Jusos vom Leder, aus dem Nichts, die seien nur dazu da, unseren Zorn einzufangen, von wirksamen Aktionen gegen die Herrschenden abzubringen und versickern zu lassen. Wir klatschten rasend Beifall, das war die Droge, die wir brauchten, befanden uns für einige Minuten in dem Wahn, mit einer solchen Jugend seien wir nur noch wenige Zentimeter entfernt von der Revolution, zumal alle weiteren Beiträge in diese Kerbe hieben. Wir wissen, es kam alles anders, aber zumindest diese eine Runde, wenige Wochen vor den Bundestagswahlen 1972, ging an uns. Sechs der Jugendlichen aus dem Dorf kamen eine Woche später zu einer „Aktionsgruppe“, die wir an diesem Abend noch geistesgegenwärtig gegründet hatten, blieben aber nach und nach wieder weg, weil wir statt der versprochenen Aktionen gegen die „Schweine“ doch nur das gemeinsame Studium von „Lohn, Preis und Profit“ boten.

Auch die drei anwesenden Kader waren von meiner Vorstellung angetan, ich solle doch nach Hannover kommen, die Führung des Jugendverbandes übernehmen. Dem Ruf bin ich gefolgt, aber aus der Karriere wurde dann doch nichts, weil wir schon ein halbes Jahr später beschlossen, die ganze Partei als gescheitert aufzulösen und in den Mülleimer der Geschichte zu entsorgen.

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