„Jetzt.“ Verschwörerisch leise und wie aus einem Munde. Auf dieses Kommando warfen wir die kleinen weißen Pillen ein, spülten sie mit dem lauwarmen Bundeswehrtee hinunter, standen auf, wieder gleichzeitig, stellten das Geschirr weg, gingen noch einmal kurz auf unsere Stuben, um uns umzuziehen, und fuhren dann in meinem grünen Käfer los, Ruppert, Gerd C. und ich, an diesem sonnigen Mittwochabend im September ausnahmsweise nicht nach Münchehagen ins Kanbach, sondern in Richtung Rinteln.
Gerade als wir unter der Autobahn hindurch waren, gefiel uns ein Feldweg, wir bogen rechts ab von der Landstraße, stellten den Wagen nach wenigen Metern ab und hüpften und tanzten mehr als wir gingen den bewaldeten Hügel hinauf: die Wirkung der Trips hatte schon eingesetzt.
Oben lagen drei Baumstämme im Moos, wir balancierten mit weit ausgebreiteten Armen auf ihnen, bereit, darin die ganze Welt und vielleicht noch ein bißchen mehr zu empfangen. Die Abendsonne blitzte durch die Bäume, Schattenspiele erfreuten das Auge, das Licht wärmte uns: „Goldener September!“ begann ich voller Inbrunst zu rufen, „Goldener September!“ echoten die beiden im Chor beziehungsweise wir alle drei im Kanon: „Goldener September! Goldener September! Goldener September!“
Gerd entdeckte einen großen Stein, Sitzhöhe vielleicht ein dreiviertel Meter: „Wenn wir uns jetzt darauf setzen, können wir mit ihm eins werden und von ihm erfahren, was der Fels in den Jahrmillionen seiner Existenz erlebt hat.“ Gerd hatte Castaneda gelesen, es kann auch Leary gewesen sein, ich weiß es nicht mehr. Ich war wohl etwas zu weit in der Zeit zurückgegangen und stand ziemlich schnell wieder auf, weil ich keine Lust hatte, mir den Hintern an der Lava zu verbrennen wie einst als Fünfjähriger an der gußeisernen Platte des Kohlenherdes. Die beiden anderen blieben sitzen und plötzlich vibrierte alles im Umkreis von sechs Metern, strahlenförmig vom Stein ausgehend.
Solche Vibrationsempfindungen auf dem Trip kannte ich schon, beim Eisessen fein auf der Zunge oder beim Rauchen prickelnd in der Mundhöhle, noch jahrelang konnten Eisgenuß oder Zigaretten diese Sensationen auch ohne Trip wieder hervorrufen, kurz zuvor beim Altstadtfest in Hannover hatten mich die „Vibrations“ bei geschlossenen Augen länger als eine Viertelstunde berührungslos sicher durch das Gedränge geleitet, vielleicht sind die Menschen auch nur ängstlich vor dieser seltsamen Gestalt ausgewichen, diese Vibrationen waren viel intensiver, erfaßten nicht nur die Luft, auch den Stein, uns Menschen darauf und davor und die Bäume ringsum, ich konnte sie sehen, hören, auf der Haut und im Körperinneren spüren. Sie entfernten sich vom Stein und von uns, bildeten einen Strahlenkranz, der sich stetig verengte und in die Höhe stieg, bis er wie ein Heiligenschein über mir stand, sich zuerst zu einem Kugelblitz und schließlich zu einem winzigen Punkt verdichtete, der in Lichtgeschwindigkeit in meinen Kopf zurückkehrte.
Welche Erleuchtung: „Nur aus meinem Kopf, alles kommt nur aus meinem Kopf“, predigte ich freudig erregt, als sei mir die Quadratur des Kreises gelungen. Ruppert und Gerd aber lächelten nur nachsichtig und wollten nicht von ihrem Glauben ablassen, das LSD stelle eine geistige Verbindung zwischen ihnen und toten Gegenständen her.
Pingback: Wahrnehmung und Wirklichkeit - Werkstatt