Gartenzwerg

Da lachen ja die Hünner.

So stand es im Lokalteil der Tageszeitung, Wort für Wort unredigiert abgedruckt, mit allen Rechtschreibfehlern, nicht hinten als Leserbrief unter den Vereinsnachrichten versteckt, nein, gleich links auf der ersten Seite in der Kommentarspalte „Unter der Briefmarke“. Am schlimmsten war, daß jeder im Dorf wußte, wer diesen Brief geschrieben hatte, diesen kompletten Unsinn einer riesigen Verschwörung des Kettensägeherstellers, der Behörden, der Polizei, seines vermeintlichen Vaters und nicht zuletzt der Siegermächte allein gegen ihn, und wir uns deswegen tagelang vor lauter Scham nicht aus dem Haus trauten.

Leider war er unser Onkel, Gartenzwerg, wie ihn alle nannten, ein kleiner, hagerer Mann mit noch kleineren, listig blickenden Augen, der zweite Mann unserer Tante Alma. Auch Erwin, ihren ersten Mann überragte sie um einen ganzen Kopf, aber der machte dabei wenigstens einen wohlgenährten und gemütlichen Eindruck. Onkel Erwin mochten wir, er verdiente sein Geld als Handlanger auf dem Bau, war nicht gerade mit Geistesgaben gesegnet, aber gutmütig. Da er selbst keine Kinder hatte, spielte er gern den Weihnachtsmann für die Cousinen, meinen Bruder und mich und fiel höchstens durch seine hilflosen Versuche auf, aus ungemahlenen Bohnen Kaffee zu kochen.

Aber er starb lange vor der Rente, das Siedlungshaus, das er vorwiegend mit eigenen Händen gebaut hatte, war gerade fertig. Tante Alma wartete das Trauerjahr ab, gab dann eine Heiratsanzeige auf und erwählte unter den zwei Dutzend Bewerbern ausgerechnet Gartenzwerg. Er war der einzige, der ihr mit Schreibmaschine geschrieben hatte, und das imponierte ihr gewaltig.

Da lachen ja die Hünner.

Es war die Geschichte mit der Kettensäge. Niemand wußte, wozu er eine Kettensäge brauchte, aber er bestellte sich eine im Versandhandel und als sie geliefert wurde, packte er sie sofort aus, überprüfte sie, indem er sie in ihre Einzelteile auseinandernahm – – – und bekam sie nicht mehr zusammengesetzt. Für Gartenzwerg ein willkommener Anlaß für eine wütende Reklamation, einige geharnischte Briefe, eine Klage, die er natürlich verlor, wie alle anderen Klagen auch, und für den peinlichen Brief in der Tageszeitung.

Das wäre ein Grund gewesen, jeden Kontakt mit ihm zu vermeiden. Aber wir hatten keinen Fernseher – unser Vater lehnte die Anschaffung ab, „weil ich dann nur noch vor der Glotze hänge“ – Gartenzwerg und Tante Alma hatten einen und sie waren die einzigen, die meinem Bruder und mir erlaubten, bei ihnen „Simon Templar“ und „Mit Schirm, Charme und Melone“ zu sehen. So führte uns der Weg an einem Abend in der Woche zu den geliebten Krimiserien und zu Gartenzwergs Prahlereien und Verschwörungsgeschwurbel.

Farbfolie für ein paar Pfennige von Leseberg.

Ein Aufschneider vor dem Herrn war er, darin übertraf er sogar noch Käpt’n Blaubär. Als 1967 das Farbfernsehen aufkam, tönte er, es sei nicht nötig, „zwoeinhalbtausend, wer hat das schon“ für die neue Technologie hinzublättern, er kriege das mit „Ganzzimmerantenne“ und etwas „Farbfolie für ein paar Pfennige von Leseberg“ „ganz allein und viel billiger“ mit dem alten Schwarzweißgerät hin. Daraufhin wurde das Wohnzimmer ausgeräumt, Wände und Decke mit Aluminiumfolie tapeziert, mit einigen Drähten an die Antennenbuchse angeschlossen – die „Ganzzimmerantenne“ – und Buntpapier in den Grundfarben vor den Bildschirm gehängt. Fertig war der Farbfernseher Marke Gartenzwerg. Selbstverständlich funktionierte das nicht, aber Gartenzwerg war nicht davon abzubringen, auf dem richtigen Weg zu sein, „mit ein paar kleinen Verbesserungen“ liefe das irgendwann, wir seien nur zu blöd, das zu erkennen. Nach drei Tagen gab er endlich auf, Tante Alma hatte eine Woche zu tun, Stube und Fernseher in den alten Zustand zurückzuversetzen, und mein Bruder und ich hatten zweimal John Steed und Emma Peel verpaßt.

Ich weiß genau, wo der letzte Zeppelin liegt.

Folgenreicher als solche dummen Streiche war seine fixe Idee, er sei der uneheliche Sohn eines Großbauern, auf dessen Hof seine Mutter gearbeitet hatte, und habe infolgedessen ein Anrecht auf ein beträchtliches Erbe, zu dem vor allem der Acker gehören sollte, unter dem der letzte Zeppelin verborgen sei. Den gelte es zu bergen, in großer Zahl nachzubauen, den zweiten Weltkrieg wiederaufzunehmen und mit dieser unschlagbaren Waffe zu gewinnen.

Oft haben wir auf dem Nachhauseweg über diese Spinnerei gefeixt, aber Gartenzwerg meinte es ernst, fand einen Rechtsanwalt, der die Goldgrube erkannte, die sich ihm da auftat, und führte mehrere Prozesse um sein angebliches Erbe, die er samt und sonders verlor. Eines Tages waren dann alle Ersparnisse von Tante Alma verbraucht und das Häuschen mußte versteigert und gegen eine Bruchbude eingetauscht werden. Gartenzwerg war auch dadurch nicht zu stoppen. Er prozessierte weiter und als auch die Bruchbude unter den Hammer kam, suchte er sich eine neue Frau, die ihm seine Spinnereien abnahm und ihn in der Hoffnung auf das Millionenerbe noch eine Weile finanzierte. Tante Alma aber starb wenig später völlig verarmt und einsam in einem kalten und feuchten Zimmer, das nur mit einem Bett, einem Stuhl und einem kleinen Schrank möbliert war.

Dieser Beitrag wurde unter Gestalten veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.