Antennendrähte

Damals, als das Fernsehen noch ein Gemeinschaftserlebnis war, als Durbridge-Krimis und Millowitsch-Übertragungen mit Einschaltquoten von fast 90 Prozent die Straßen leerfegten und die Menschen vor den Geräten zu einem einig Fernsehvolk vereinten, zu dieser Zeit beschlossen mein Bruder und seine Kumpel, etwas gegen diese „Volksverdummung“ zu unternehmen, schlichen, vorzugsweise donnerstags und samstags, wenn gerade „Der Goldene Schuß“, „Vergißmeinnicht“ oder „Einer wird gewinnen“ liefen, mit einer Zange bewaffnet durchs Dorf, zerschnitten die Kabel, die außen am Haus entlang nach oben zu den Dachantennen liefen, und erfreuten sich daran, wie in den Wohnzimmern, um die vermeintliche Bild- und Tonstörung zu beheben, verzweifelt an den Knöpfen gedreht und gedrückt oder mit Fäusten auf die Geräte eingehämmert wurde. Andere, die ihrem Protest gegen die Verhältnisse Ausdruck verliehen, indem sie Pastor Günther auf die Türklinke schissen oder ein Sackgassenschild an die Kirchentür nagelten, kamen ungeschoren davon, mein Bruder und seine Kumpel aber wurden eines Tages von einer zornigen Witwe erwischt und so mußten meine Eltern mit ihm auf der Polizeistation im Nachbardorf antreten. Polizist L. gab ihnen den pädagogischen Rat auf den Weg, meinen Bruder, um solche Untaten in Zukunft zu verhindern, jeden Morgen im Voraus für die Sünden des Tages zu verprügeln. Mit seinem halbwüchsigen Sohn halte er es auch so und der sei allein deshalb bisher zu einem prächtigen Kerl herangewachsen. Daß sich dieser Sohn später das Leben genommen hat, steht ganz sicher in keinem Zusammenhang mit den Methoden schwarzer Pädagogik, die er in seiner Jugend über sich ergehen lassen mußte.

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